Edelleute, Heilige und Bettler

Von Hans-Joachim Sehrbundt

Die Erforschung unserer Familiengeschichte führt uns durch verschiedene geschichtlichen Epochen und deren Randbezirke. Der Familienforscher durchwandert ein Zeitfenster rückwärts und erlebt an Einzelschicksalen Zeitepochen aus einem ganz persönlichen Blickwinkel, unabhängig von der offiziellen Geschichtsschreibung, von Lehrbüchern und Gelehrtenstreit.

Als Zurückschauender ist es einem vergönnt, mit der eigenen begrenzt bemessenen Lebenserfahrung , Einzelschicksale der Vorfahren in Beziehung zu setzen, zu vergleichen, ein Direktabgleich ist möglich, im Gegensatz zur anonymen Ereignisgeschichtlichkeit.

Meistens wurden die Lebensumstände, das Leben überhaupt, durch Umwälzungen geprägt, entweder waren es Kriege, dadurch ausgelöste Hungersnöte, die Pest oder Glaubenskämpfe, seltener Wetterkatastrophen. Kriegerische Ereignisse und ihre Folgen betrafen sowohl unsere Vorfahren als auch die Generation des 2. Weltkrieges, die Generation des Verfassers.

Selten spielten dabei Einzelschicksschläge oder persönliche Probleme eine so große Rolle, wie die an die Menschen von außen herangetragen oder aufgezwungenen Lebensbedingungen.

Zu nennen ist an erster Stelle der Dreißigjährige Krieg, den die Familienlinie Krauss–Jung und ihre Mitglieder teilweise überstanden. Oftmals beginnen die Aufzeichnungen erst danach.

Die Serbonds-Sermondis-Serpontis hat der Dreißigjährige Krieg weniger betroffen, sie siedelten erst danach in Ober-Olm, sie verließen nach dem großen Krieg ihre Heimat, das Tal der Adda.

Der Dreißigjährige Krieg war für die Betroffenen eine Elementarkatastrophe in jeder Hinsicht. Landschaften wurden verheert, Städte verwüstet Menschen zu Haufe ermordet gefoltert und umgebracht. Diese Geschehnisse sind durchaus einzelnen Ereignissen des 2.Weltkrieges gleichzusetzen.

Wer jemals als Zeitzeuge die Kriegsleiden des 2. Weltkrieges, die Bombennächte, Vertreibung, Konzentrationslager und den Einmarsch der Roten Armee durchlitt, kann sich eine gewisse Vorstellung von dem machen, was unsere Vorfahren miterlebten und das über viele Jahre hinweg. Wenn auch der Terror nicht überall 30 Jahre gleichermaßen wütete, so waren die Zwischenzeiten doch mit Ängsten, Not und Entbehrungen jeglicher Art angefüllt.

Diese teilweise unbeschreiblichen Ereignisse vergaß die Generation der Betroffenen nicht, sie lebten in Erzählungen und im Moritatengut weiter, noch Generationen danach. Ebenso wenig vergisst die Kriegsgeneration des 2. Weltkrieges diese Schreckensereignisse, sie haften lebenslänglich, sie prägen oft die Psyche und Persönlichkeitsstruktur für den Rest des Lebens, es ist und war eine Traumatisierung. Ähnlich mag es unseren Vorfahren gegangen sein, nur eben 30 Jahre lang und nicht sechs intensive Jahre.

Von der Linie Krauss-Jung sind uns durchgängig nur die späteren Waldschmidts bekannt, diese konnten wir bis 1380 nachweisen als : “Der Waldsmyt uff der Byber“. Die anderen nachweisbaren Familiendaten beginnen erst später. Dies mag auch daran liegen, daß die Kirchenbücher in Dreißigjährigen Krieg zerstört wurden, oftmals fehlen über Jahre hinweg auch die Einträge. Familien wurden auseinandergerissen und flüchteten, lebten jahrelang in Wäldern, auf der Flucht oder in Höhlen, Kirchen wurden geplündert und gebrandschatzt, Pfarrer erschlagen, wer sollte da Neugeborene taufen, Getötete beerdigen oder dies gar aufzeichnen?

Aus dem oben erwähnten „Waldsmyt uff der Byber“ gingen die späteren recht zahlreichen Waldschmidts hervor. 1410 wurde ein Richard Waldsmyt „uff der Waltsmyte unter Biber“ geboren, später, 1445, ein Hermann Waldschmit, bezeugt 1482 auf dem landgräflichen Hof Rodeneim und der Waldschmiede uff der Biber.

Möglicherweise war die Waldschmiede mit einer Köhlerei verbunden, für höherwertige Eisenanfertigung benötigte man entsprechende Holzkohle, dies mag ein kleiner Hinweis für spätere Forscher sein.

Aus dieser Linie stammen spätere Gerichtsschöffen in Wetzlar, Senatoren, Bürgermeister, der Bauherr der Wetzbach Brücke, sie alle siedelten bei oder in Wetzlar.

Wetzlar ist ein familiärer Zentralort, dort waren viele Vorfahren der Krauss-Jungs ansässig, ähnlich St Wendel. In Wetzlar heiratete z.B.Franz Lorenz Krauss am 25.02.1827 in die Barbiers-/Chirurgenfamilie Heidenreich ein, er selber übte dann am gleichen Ort als Bürger Wetzlars auch den Barbiersberuf aus.

Die Familie Heidenreich stammte ursprünglich aus Nördlingen. Eine Auguste Heidenreich finden wir in Mewe (heute: Gniew) an der Weichsel, im heutigen Polen, sie kam anlässlich der Taufe von Matthias August Krauss am 03.05.1846 eigens angereist, sie versah das Amt einer Patin. Matthias August war das 7. und letzte Kind des Barbiers und Wundarztes Franz Lorenz Krauss.

Die Patin nahm eine beschwerliche Reise auf sich, über 1000 km, Mewe gehört heute zu Polen, von der ehemals Deutschen Zeit kündet eine Ordensburg des Deutschen Ordens. Warum sie die lange Reise unternahm hatte sicher einen Grund, leider kennen wir ihn noch nicht, die Taufe war sicher eine Gelegenheit die Familie wieder zu sehen, eventuell hatte sie noch Besitz in Wetzlar.

Bezüglich der Heidenreich/Heydenreichs werden wir weiter nachforschen, sie stammen, wie bereits geschrieben, aus Nördlingen und waren dort “Zukkerbekker und Specereyhändler“. (LCSW III= Luth.Copulations- und Sterberegister Wetzlar Band III, 177-1810, Evangelische Archivstelle Boppard.)

In Nördlingen siedelten seinerzeit zahlreiche Savoyaner, welche ähnlich Berufe ausübten. Über Savoyen und seine Auswanderer berichten wir an anderer Stelle in diesem Buch.

Heidenreich ist nach Brechenmacher (Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Familiennamen, Starke Verlag, Limburg, begründet in Görlitz ,1847) „ein altbeliebeter, auch im oberen Deutschland, sehr gebräuchlicher Name“. Er stammt von dem im 8.Jahrhundert gebräuchlichen Männernamen Heidanrich. Diese Forschung ist aber noch nicht abgeschlossen.

In den Familien der Krauss-Jungs finden wir Lehrer, einen Regiments-Chirurgus, einen Rheinschiffer, Pastoren, Ratsherrn, Handelsherren, Tuchmacher neben Metzgern, Silberschmieden, einen Viehirten, der verarmt als Bettler, so in der Sterbeurkunde ausgewiesen, starb.

Er war, soweit wir im Augenblick überschauen können, der Älteste aus der Krauss-Jung Ahnenreihe, er wurde 96 Jahre alt, es war Heinrich Seyler/Seiler, geboren 1725 in Trier und gestorben am 28.02.1821 zu Tholey als Bettler. Warum er als Bettler verstarb ist unbekannt. Auffällig bei der Krauss-Jung Linie ist die enge begrenzte Ansiedlung in der Wetzlaer Gegend, im Saargebiet und in der Eifel. Man war wenig mobil es bestand offenbar kein Grund zum Wegziehen.

St.Wendel und Wetzlar waren schwerpunktmäßige Wohnorte, daneben gab es vereinzelt Beziehungen zum sehr nahen Frankreich (Elsass) und nach Luxemburg, damals waren die politischen Strukturen anders als heute.

In der Eifel waren es die Orte Mayen, Weiler und Monreal. Die Eifel war zur Zeit unserer dort ansässigen Ahnen ein sehr armes Gebiet, bekannt als das “Preussische Sibirien“. Die Menschen dort lebten hauptsächlich von der Schäferei, dem Wollhandel und der Tuchherstellung. Mit der Einführung moderner Spinnmaschinen in England verkam die Tuchfabrikation in Deutschland, auch die Eifel verarmte.

Teilweise waren die Familien aus dieser Linie katholisch, wiederum andere reformiert-evangelisch. Die streng-katholische Religiosität und tiefe Gläubigkeit ist mir von meiner Großmutter, Luise Krauss, geb. Jung, gut in Erinnerung. Sie legte das Saatkorn des Glaubens beim Verfasser, der Rosenkranz verbindet uns noch heute im Gebet.

Die Familien aus der Sehrbundt Reihe führten über Jahrhunderte hinweg ein streng katholisches Leben, sie waren in der Gegenreformation Verteidiger des Glaubens. Auch in Ober-Olm erscheint die Familie noch durchgehend katholisch. Dies wurde mit Johann Peter Sehrbundt anders.

Mit dem Eintritt in das 21.Infanterieregiment als Musketier wird er in Quedlinburg evangelisch. Seitdem ist diese Linie bis heute, wenigstens nominell, evangelisch, bis auf eine Ausnahme; die fünf Enkel des Verfassers gehören wieder dem katholischen Glauben an.

Quedlinburg war damals preußisch und evangelisch, ebenso die Familie Ritter, in die Johann Peter Sehrbundt hineinheiratete. Offenbar wechselte er zur Zeit seiner Hochzeit auch seinen Glauben. Auch scheint seit dieser Zeit die Verbindung zur Familie nach Ober-Olm gestört zu sein. Zu den Taufen seiner Kinder reist nie Verwandtschaft an, es werden keine Paten aus der Heimat verzeichnet. Auch finden wir später nie irgendwelche Hinweise auf Ober-Olm, nur einmal im Bürgermahlsbuch zu Quedlinburg, als die Herkunft aktenkundig gemacht werden musste.

Dieser Abriss der familiären Verbindung ist ungewöhnlich, wir werden die näheren Umstände noch erforschen müssen.

Bis dahin waren alle Vorfahren der Sehrbundts bis auf ganz geringe Ausnahmen, wie in dem Buch beschrieben, katholisch und an der Verbreitung des Glaubens durch zahlreiche Geistliche oder als Gegenreformatoren tätig, dies teilweise in direkter Zusammenarbeit mit den jeweiligen Päpsten und dem Hl. Carlo Borromeo, Kardinal und Erzbischof von Mailand, später Staatssekretär des Heiligen Stuhles.

Unser Franz von Bormio, Antonius de Sermondi, starb als Generaldefinitor der Kapuziner und mehrfacher Klostergründer in der Schweiz im Rufe der Heiligkeit, Wunder sind von ihm überliefert.

Ferner waren Sie alle Adelige (Marquis, Conte) und spielten an ihren jeweiligen Einflussbereichen eine bedeutende geschichtlich-soziale Rolle.

Bis zur Niederlegung diese Buches haben wir noch zwei Vorfahrenlinien der Sehrbundts in Bearbeitung, die der ‘de Sermondis’ und die der ‘de Serpontis’, beide hatten engste räumliche Beziehungen zueinander, gemeinsame Familienauffälligkeiten und Ähnlichkeiten. Auch werden in Ober-Olm in den Kirchenbüchern beide Namen erwähnt. Schon frühzeitig, ohne seinerzeit um die Herkunft der Familie über Ober-Olm hinaus zu wissen, machte ich auf diesen Umstand aufmerksam und wies auf mögliche Zusammenhänge hin.

Beim Vergleich beider Ahnenreihen, den Sehrbundts und denen der Krauss-Jungs fallen Gemeinsamkeiten auf.

Beide Familienlinien siedelten jeweils für längere Zeiten in einem umschriebenen Gebiet, es wurde in der Umgebung geheiratet, meist standesgemäß.

In der Sehrbundt Ahnenreihe finden sich Notare, bekannte Maler und berühmte Ärzte, zahlreiche Geistliche, herausragende Prediger, Gesandte beim Heiligen Stuhl, bis zur Ober-Olmer Zeit.

Ab Quedlinburg jedoch hatte die Familie die berufliche Blütezeit hinter sich, Schuh-, Tuchmacher, Gärtner waren die Hauptberufe. Auch wurde dort wieder innerhalb des Standes geheiratet.

Mit dem Saatzuchtinspektor Sehrbunt erreichten die Quedlinburger einen „beruflichen und sozialen Höhepunkt“. Bei Krauss-Jung sind fast alle Berufe vertreten, zahlreiche Wundärzte/Barbiere/Feldschere/Chirurgen, Lehrer, Metzger, Handelsherren neben Ratsherren, Geistliche, Gastwirte, Bäcker, Rheinschiffer, Stadtfähnrich, Schuhmachermeister, Verwalter, ein zugewanderter Maurer aus Tirol.

Bekannt war der Chirurg und Gasthalter in Wetzlar “Zum güldenen Krackbein“, Moritz Burchhard Molther, um 1707.

Der Name: Krackbein konnte noch nicht eingeordnet werden, eventuell war er lautmalerisch berufsbezogen, damals wurde der Chirurgenberuf nicht gerade feinfühlig ausgeübt, es “krachte, knackte, krackte“ bisweilen. Weniger mag der Name mit Krag=Krahe zu tun haben, eines „lärmenden, zu Auseinandersetzungen stets geneigten Menschen“, so Brechenmacher, Etymologisches Wörterbuch der Deutschen Familiennamen, Starke Verlag, begründet in Görlitz, 1847.

Er ehelichte Christina Margaretha Drullmann um 1705, Tochter des Johann Daniel Drullmann (auch Trollmann), Pfarrer und Praeceptor primarius Lateinschule Wetzlar, geb 1653 in Butzbach und gest. 1726 in Melbach, beide Orte liegen nahe bei Wetzlar.

Beide Familienlinien, die Sehrbundts und die Krauss-Jungs unterscheiden sich, soweit man erkennen kann, bezüglich der Homogenität, beziehungsweise Heterogenität der ausgeübten Berufe. Die de Sermondis und de Serpontis waren Großgrundbesitzer und wohlhabend, weltbekannt ist die „Villa Cipressi, die Perle des Comer Sees“, sie gehörte den de Serpontis. Die Krauss-Jung Ahnen lebten eher in bürgerlich-bescheidenen Verhältnissen.

Die Sehrbundts waren bis Ober Olm nur in wenigen Berufszweigen vertreten. Ab Quedlinburg wird das Berufsbild gemischt. In der Krauss-Jung Linie, die wir nicht so weit zurückverfolgen können, sind die Berufsbilder, vergleicht man ab der “Ober-Olmer Zeit“ (etwa 1680) sehr unterschiedlich.

Ferner ist auffällig, dass die Mitglieder beider Familien zeitweise in relativer Nähe zueinander wohnten. Von Wetzlar bis Ober-Olm beträgt die Entfernung etwa 110 km. Ein direkter Genaustausch scheint nicht stattgefunden zu haben, wir fanden in den Ober-Olmer Kirchenbüchern diesbezüglich keine Hinweise, ob indirekt, ist späteren Forschungen vorbehalten. Bei den Krauss-Jungs scheint die Familienlinie keinen solchen Engpass erlebt zu haben wie bei den Sehrbundts, dies ist auf den Musketier Johann Peter Sehrbundt zurück zu führen.

Er löste sich aus uns noch unbekannten Gründen aus dem Familienverband und gründete die Familie Sehrbundt in Quedlinburg völlig neu.

Die anderen Familienmitglieder verschwanden aus Ober-Olm, wohin und warum ist uns vorerst noch unbekannt.

Möglicherweise zogen sie nach Holland und Norddeutschland, dafür gibt es Hinweise, es wurden bereits erste Kontakte geknüpft.

Dies ist eine vorläufige kleine Übersicht der väterlichen und mütterlichen Ahnenreihe des Verfassers.

Vieles ist unvollständig, einiges noch spekulativ, jedoch ist es der erste beschreibende Versuch, Verstreutes zu sammeln und in einen Gesamtreigen einzubinden. Weitere Forschungen sind notwendig, von den Ergebnissen werden wir hier berichten.

 

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