Genealogie im Wertewandel

Von Hans-Joachim Sehrbundt

Genealogie vermittelt Verbindung zur Vergangenheit, Einbindung in die Geschichtlichkeit der früheren Zeit mit dem augenblicklichen Geschehen.

Genealogie stellt auch einen persönlichen Bezug zur Vergangenheit von Einzelpersonen aus dem Umfeld unserer Vorfahren her, sie ist ein höchst lebendiges Bindeglied zwischen gestern und heute.

Genealogie entkleidet Geschichte von der historischen Anonymität und stellt persönliche Beziehungen dar.

Wer sich mit seiner Geschichte und Herkunft befasst, geht zurück in die Welt der Vorväter, in die Zeiten ihrer Vergangenheit.

Geschichtsbücher berichten von Weltgeschehnissen und solchen, die heute dafür gehalten werden, von Menschen, die meist durch blutig-kriegerische Auseinandersetzungen neu ordnen und gestalten, oft hinzugewinnen wollten, zumeist zu Lasten von Anderen.
Diese Neuordnungen brachten vielfach Not, Elend und Unglück über Unbeteiligte, welche dann Involvierte wurden, Leidtragende, die oft ihre Habe, bisweilen Leben oder Gesundheit verloren.
Die Kriegsherren blieben davon zumeist verschont, ihre "Ruhmestaten" werden in den Geschichtsbüchern, je nach vorherrschender gesellschaftlich-politischen Situation verherrlicht oder relativiert. Man errichtet ihnen Standbilder und Denkmäler.

Die Betroffenen, die Soldaten, das Fußvolk, und die Bevölkerung badeten die Eroberungswünsche der Kriegsherren aus. Sie allerdings blieben anonym, meist auch in den Massengräbern der Schlachtfelder.
Man flocht ihnen keinen Ruhmeskranz.

Diese stillen Helden der Jahrhunderte, Männer und Mütter, die um ihre Söhne bangten, waren unsere Vorfahren.

Die Grabsteine unserer früheren Ahnen existieren nicht mehr, oftmals sind Unterlagen, Kirchenbücher und weitere Aufzeichnungen, durch Kriegsfolgen zerstört.
Gehörte die Familie dem Adel an, sind die Möglichkeiten darüber Unterlagen zu finden, ungleich größer, beim Adel existieren mehr und durchgehende Aufzeichnungen.

Die Genealogie wird zu den Hilfswissenschaften gerechnet.
Die universitäre Wissenschaftlichkeit weiß sich ihrer zu bedienen, verweist Sie aber auf einen unangemessenen geringen Platz bezüglich des Stellenwertes dessen, was sie für Historiker zu leisten im Stande ist.
Ob diese elitäre Abgehobenheit anhalten wird oder nicht, sollte den Genealogen, den Familienforscher, eigentlich wenig bekümmern.
Er hat keine diesbezügliche, manchmal bedrückende, Universitätskarriere vor sich.

Der ernsthaft arbeitende Familienforscher kann bisweilen ungleich solider die Dinge angehen als der getriebene Wissenschaftler an Hochschulen, welcher veröffentlichen muß(paper produzieren), weil er aus Existenzgründen nach einer Dauerstelle strebt.

Der Hobbygenealoge bindet sich persönlich in die Geschichte ein und versucht aus dem Umfeld der Vergangenheit ein Lebensbild seiner Vorfahren zu erstellen, gewissermaßen auch einen Lebensraum, ein Umfeld.
Reine Datensammler sind hier nicht gemeint, welche den Stammbaum mit einer Datenvielzahl auffüllen, aufpeppen, so wie man einen Christbaum mit Lametta behängt.
Dazu leistet bisweilen das Internet Vorschub, es verführt geradezu.

Dennoch bieten die im Internet angebotenen Datensammlungen die Möglichkeit, ungleich schneller als je zuvor, Kontakte und Verbindungen herzustellen.

Das Herausheben einiger Persönlichkeiten aus dem geschichtlichen Vergessen, und deren Hineinstellen in die Gegenwart, könnte auch für die Betroffenen langweilige Geschichtsstunden attraktiver machen.

Die Kenntnis von der Teilnahme unserer Vorfahren an geschichtlichen Ereignissen des Vaterlandes oder das Einbinden in damalige politische oder konfessionelle Strömungen, kann die vergangene Situation besser erleuchten, sie kann unter solch persönlichen Aspekten durchdacht oder überdacht werden, es gelingt ein Nachvollziehen.
Geschichte wird in die lebendige Gegenwart einbezogen, unsere Ahnen gesellen sich zu uns, ihre Probleme, so stellen wir fest, gleichen nach Jahrhunderten oft den unsrigen.

Genealogie scheint an Beliebtheit zu gewinnen, man möchte über seine Herkunft mehr wissen.
Auch der Neandertaler oder die Entwicklung des modernen Homo sapiens sapiens werden zunehmend in bestimmten Kreisen interessanter. Zum einen sind es die Evolutionsbiologen welche aus der Sicht reiner Naturwissenschaftlichkeit den Dingen auf den Grund gehen möchten, zum anderen treibt Viele das Gefühl, eine bestimmte Verbindung zur Vergangenheit herstellen zu müssen.

In dem Zeitalter der Glaubenskrisen und des Werteschwundes versuchen offenbar viele Menschen durch die Verbindung mit der Genealogie einen Bezug oder ein Fundament herzustellen.
Das Ausmaß des"toten Punktes" löst dann oftmals eine gewisse Euphorie ab und sorgt wieder für Realität oder Depression. (Für Psychologen ein interessanter Aspekt.)
Die Endophorinausschüttung versiegte im Genealogiemarathon.

Der "tote Punkt" ist offenbar das flinke Kind des elektronischen Zeitalters.Ihn gab es früher auch,er tritt aber immer häufiger und schneller auf.Die genealogischen Listen im Internet sind ein beliebter Mitteilunsplatz,auch für das Erreichen dieses Totpunktes,plötzlich und unerwartet trat er ein.... .
Genealogielisten sind ein wichtiges zwischenmenschliches elektronisches Kommunikationsmittel zur Gemeinde der Familienforscher, sie ersetzen oftmals das Kaffeekränzchen und den Kummerkasten der Gartenlaube.
Man ist nicht alleine in der Trauer.

Genealogie als Ersatz für Verlorenes?
Mit Sicherheit nicht.

Aber Genealogie vermag bisweilen Erklärungen zu bieten,wieso die eigene Veranlagung,das eigene Verhalten so und nicht anders ist.
Solange wir unsere Gene noch nicht mit unseren Vorfahren vergleichen, oder Verwandten abgleichen können, solange sind wir eben auf die Überlieferung angewiesen.

So gibt es Familien in denen über Generationen Notare, Ärzte, Künstler und Kirchenmänner vertreten waren. Es gibt Familien mit gehäuften Krankheitsraten, Selbstmorden, gesellschaftlichen Versagern oder bedeutenden gesellschaftlich-politischen Persönlichkeiten.

Man kann die eigenen Fähigkeiten besser einordnen und möglicherweise ihre Herkunft sortieren, wenigstens scheinbar in groben Umrissen.
Der Herkunftsgedanke und die Suche nach dem Ursprung, nach dem Beginn, sind auch Triebfeder für den Ahnenforscher, er versucht einen Brückenschlag zurück in seine persönliche Vergangenheit.
Dieser Brückenschlag vermag in unserer bindungslos- unverbindlichen Zeit eine Verankerung in der Zeit darstellen,eine Verwurzelung.

Den Genealogen treibt letztendlich das Verlangen, dass uns auch auf fernen Planeten nach Lebensspuren suchen lässt, nämlich die Suche nach der Herkunft in einem kleinen überschaubaren privaten Bereich.
Er stößt damit in den Glaubensbereich oder nähert sich seiner Peripherie.

Die Gläubigkeit unserer Vorfahren war aus verschiedenen Gründen offenbar stärker ausgeprägt als heute, die Kirche hatte eine dominante Stellung im gesamten Lebensbereich.
Die Göttlichkeit der Herkunft war unangetastet, sie nahm allerdings in der praktischen Umsetzung im sozialen Gefüge von oben nach unten ab.
Zeitweise waren die Untertanen Verfügungsmasse der kirchlichen und weltlichen Obrigkeit.

In diesem Hierarchiegefüge wuchsen unsere Vorfahren auf, dieses wurde allerdings oftmals nachhaltigst durch kriegerische Ereignisse erschüttert.
Allerdings reparierte sich dann dieses Geflecht wieder erstaunlich schnell und entfaltete neue Varianten. Das Gesamtlebensbild war nicht nachhaltig zerrüttet.

Der Glaube an Gott hatte über Jahrhunderte einen festen Bestandteil bei den Menschen der Vergangenheit, die Zweifel wuchsen erst mit dem Aufkommen der neuen Propheten des Industriezeitalters.

Eventuell ist es auch das Engramm einer tieferen Sehnsucht nach einer vermeintlich heilen Zeit, die manchen Genealogen umtreibt.
Die Beschäftigung mit den Vorfahren kann diese Sehnsucht stillen, sie werden wieder in die Erinnerung gestellt, sie gewinnen an Leben, sie sind mit uns zusammen.
Man beschäftigt sich auch wieder mit sich und der jüngsten Vergangenheit,es werden Direktbezüge hergestellt. Beim Gebet für die Verstorbenen werden konkrete Bezugspunkte eröffnet, die Vorstellung wird angesprochen, man betet für einen Bestimmten, welcher aus der anonymen Vergangenheit, aus den Kirchenbüchern, wieder zu einer Erinnerung erweckt wurde.

Dieses Gedenken lässt auch die zerbrechliche eigene Position in dieser Welt erkennen, und zeigt auf, dass wir nur ein weiteres sterbliches Glied in der Stammbaumkette sind.

Die Einordnung in die Gesamtschöpfung gelingt damit leichter.
Die Heiligung der Arbeit, auch die des Genealogen, lässt uns, wenn wir es zulassen, den Schöpfer erkennen. Identifikation, Positionierung in der Umwelt, Apostolat im Täglichen, so, wie es uns der Heilige Escriva vorlebte.

Die Identifikation mit seiner Geschichte und damit auch seiner Herkunft war und ist für den Menschen wichtig, die Museen sind Erinnerungsstätten an seine Vergangenheit.
Die Erinnerung ist dem Menschen genau so zu eigen, wie seine Religiosität.

Kriegerische Handlungen zerstören oft mit Absicht das Erinnerungsgut der Besiegten, sie sollen geschichtslos anonymisiert werden, verschwinden, nur der Sieger hat das Recht in allen Formen zu überleben.

Oftmals wurden auch Kirchenbücher und Familienaufzeichnungen zerstört, nach dem verlorenen 2.Weltkrieg sollte das deutsche Volk umerzogen werden.Werte wurden zu Unwerten erklärt.Es setzte eine Identitätskrise ein, die bis zum heutigen Tage reicht, ebenso eine Werteverschiebung.
Eigentlich brach diese Krise schon mit dem verlorenen 1.Weltkrieg aus,sie hatte aber ihren tieferen Ursprung in der Aufklärung und mit dem Beginn der Industrialisierung.

Der gläubig-eingebundene Christ wurde früher getauft, diese Taufe wurde aufgezeichnet, für immer unvergesslich in den Büchern, im Täuflingsherzen und in der katholischen Kirche, die Jesus gründete.
Man war chistlich, das Christliche materialisierte sich in der Eucharistie, es bestand eine Verbindung zwischen Himmel und Erde.Der neue Bund war(ist)lebendig.
Diese Verbindung wurde durch die Aufklärung und deren falsche Propheten unterbrochen, gekappt, die Verbindung war nun einseitig:
Vom Menschen zum Menschen.
Der Mensch ersetzte Gott, er war sein Gott,Neuapostel wie Marx und Engels verkündeten ein neues Zeitalter.
Die Ideologie dieser Falschmünzer ermöglichte die Versklavung der Menschen durch die proletarische Befreiung. Jahrhunderte gelebter Tradition wurden auf den Kopf gestellt.
Mit der "Befreiung"begann die Entwurzelung.

Eine unbestimmte Sehnsucht nach Verlorenem begann den Menschen mehr oder weniger stark zu erfassen, eine Trauer, eine Traurigkeit stellte sich ein, Beziehungen waren unterbrochen, ein Gefüge geriet aus dem Gleichgewicht.

Die genealogische Forschung stillt ein klein wenig die Suche nach dem Verlorenen,nach der "heilen Welt",wenn die Antriebsfeder nicht das reine Ahnensammeln ist.

Dank der Kirchenbücher, der Kirchen, dank der zahllosen Geistlichen, wurden die Kirchenbücher über Jahrhunderte hinweg geführt. Diesen Gottesmännern mit ihrem Glauben an die Heilige Dreifaltigkeit haben wir die Existenz der Unterlagen zu verdanken, sie ermöglichen uns das Heraustreten aus der Geschichtslosigkeit.

Der Ungläubige bedient sich ihrer mit einer Selbstverständlichkeit und Unkenntnis die ihn eigentlich nur als Namenssammler auszeichnet.Der Neuntöter spießt seine Opfer ebenso auf wie der Schmetterlingssammler seinen Fang der Vitrine zur Schaustellung einverleibt.
In der Vitrine erfährt der Betrachter nichts über die Anmut des Fluges oder über die Verpuppung.

Der Einrichtung des Kirchenbuches bedient man sich mit einer geradezu entwaffnenden Selbstverständlichkeit ,so wie man achtlos über die im Boden eingelassenen Grabsteine in Kirchen und Domen gelangweilt schlendert.
Das Kirchenbuch war der registrierte Verbindungsnachweis zwischen Täufling und Gott, man war hier und dort registriert. Eine wichtige Handlung, ein Sakrament wurde dort dokumentiert.

Fast nahezu ein Jeder wurde dort registriert, im Gegensatz zu heute, das Standesamt ist oft der einzige Nachweis über eine Person, demnächst könnte es das Laborbuch eines Wissenschaftlers sein.

Laborbuchgenealogie.

Nunmehr wird irgendwann die Laborbuchgenealogie aktuell werden, man sucht seine Vorfahren in den Laborbüchern wissenschaftlicher Institute oder Institutionen.

Es gelang nämlich in der Zwischenzeit aus Stammzellen Eizellen herzustellen, und ebenfalls befruchtungsfähige Samenzellen.Im Tierversuch funktionierte es schon, die Befruchtung, ein Lebewesen entstand.
Dieses Wesen kann über Passagen hinweg vermittels Stammzellentnahme weiter gezüchtet werden, ohne, dass es je seine Endgestalt annahm.
Hingegen kann nach jeder Passage das kleine Urgeschöpf ausgetragen, zum "Geborenen Lebewesen" werden.
Wird eine Vielzahl von Passagen durchlaufen oder werden zwischenzeitlich neue Stammzellen eingeschleust, ist die Herkunft dieses Geschöpfes nur nach den Laborbuchaufzeichnungen zu ermitteln, wenn überhaupt.

Solche Aufzeichnungen unterliegen keinem Standard, auch sind sie manipulierbar, man erinnere sich der bekannten Wissenschaftsbetrügereien.

Noch ist kein solcher Versuch am Menschen bekannt geworden, sicherlich wird in einigen bestimmten Ländern mit Hochdruck daran gearbeitet.

Die Schwierigkeiten die Herkunft eines so entstandenen Menschen zu ermitteln und die Verwerflichkeit dieses Handeln sollen an dieser Stelle nicht erörtert werden, dies liegt im religiös-sittlich-moralischem Bereich.
Wichtig ist es jedoch, sich frühzeitig mit diesen Dingen vertraut zu machen und sich selber zu positionieren.

Ein anderes Problem in der Genealogie könnte der maßgeschneiderte Mensch werden, zusammengesetzt aus mehrerer verschiedenen Genabschnitten, Schnipseln verschiedener Menschen.

Dies, so wird man einwenden, vollzieht die Natur täglich, dem ist zu entgegnen, dass dies abstammungsmäßig mit unseren konventionellen Methoden nachvollziehbar ist.

Werden jedoch Genbruchteile verschiedenster Personen zusammengefügt(was augenblicklich nur äußerst bedingt möglich ist) so hat der neu entstandene Mensch viele Väter,die nur dem Manipulator bekannt sind,wenn überhaupt.Man kann ja auch Gene anderer Lebenswesen einschleusen.
Mischung aus Mensch und Tier.
Da hilft auch nicht die Ausrede, dass wir sowieso Genbruchstücke von Viren, Bakterien und aufgenommener Nahrung in uns beherbergen, dies ist ein ganz anderer Vorgang.

Werden die Genstücke von Genbanken verwendet, wird die Forschung nach der Herkunft noch schwieriger.

Diese wenigen Beispiele mögen auf die zukünftigen Schwierigkeiten der Genealogie hinweisen, sollten diese Labortechniken Wirklichkeit werden.
Utopie? Überzogen?
Man konnte sich nach den ersten Flugversuchen(1903) der Menschen auch nicht vorstellen nach so kurzer Zeit später auf dem Mond zu stehen.

Der Genealoge hat keine moralischen Wertigkeiten abzugeben, auch nicht die genealogischen Verbände, es ist jedoch dem einzelnen Familienforscher unbenommen sich seine eigene Meinung zu den Geschehnissen in der Welt rings um ihn herum zu bilden, insbesodere, wenn es seine Arbeit betrifft.
Es soll auch kein Horrorgemälde gezeichnet werden, aber gewisse vorhersehbare Entwicklungen zu beschreiben schützt bisweilen vor Überraschungen, allerdings nicht oft.
Möge es jedoch nicht dazu kommen.

"Habt ihr keine Häuser zum Essen und Trinken" frug schon Paulus.
Doch, sie hatten. Uns sind sie unbekannt, diese menschlichen Behausungen, sie verfielen, sie wurden Staub.

"Sie aßen Brot von unseren Feldern."(Irenäus).

Die Erd- und Leibhaftigkeit der Eucharistie aber blieb.

Auch so sind wir mit unseren Altvorderen vereint, durch das ewige göttlich-geheimnisvolle Band der ewigen Liebe, der Geborgenheit im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist.

 

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